Tierisch glücklich

Im Sommer erlitt Jonas Kirsch einen Rückfall, für eine Sekunde fiel er in ­seine alte Rolle zurück. In dieser Rolle aß er Fleisch und tierische Produkte und dachte vermutlich nicht einmal im Traum daran, eines Tages damit aufzuhören.

Von Annick Meys

In der Mittagspause schnell ein Döner, abends ein gutes Stück Fleisch und Wurst auf dem Brot: Der 26-Jährige war bis vor wenigen Monaten das, was man einen „normalen“ Esser nennt. Seit gut einem halben Jahr ernährt er sich vegan. Veganer verzichten nicht nur auf Fleisch, sondern auch auf alle anderen tierischen Produkte. Das heißt: kein Honig, keine Eier – und keine Milchprodukte.
Jonas
Nur einmal hat er sich nicht daran gehalten, und das war ein Versehen. An einem schönen Sommertag auf einer Terrasse in Verviers schob sich Jonas wie selbstverständlich ein Stück Käse, das der Kellner zum Starkbier servierte, in den Mund. „Alte Gewohnheit“, meint der Raerener. Heute würde ihm das nicht mehr passieren. Nicht in erster Linie aus Mitgefühl für die Tiere, sondern aus Respekt vor dem eigenen Körper und aus Wut auf die Lebensmittelindustrie hat der 26-Jährige seine Ernährung radikal umgestellt. Er hatte keine Lust mehr, sich von gut durchdachten Marketingkonzepten weismachen zu lassen, was angeblich gut für ihn ist. Außerdem hat er angefangen, kritisch zu hinterfragen, was da vor ihm auf dem Teller liegt. „Kühe werden mit Antibiotika vollgepumpt, und wir essen später ihr Fleisch und trinken ihre Milch und haben die Medikamente dann auch in uns“, erklärt der 26-Jährige.
Von heute auf morgen stellte Jonas seine Essgewohnheiten um, las im Internet und in Büchern viel über vegane Ernährung und befreite den Vorratsschrank von allen „schlechten“ Lebensmitteln und füllte ihn mit veganem Brotaufstrich, Tofu, Mandelmilch und allen Zutaten, die man für die vegane Küche benötigt. „Auf Käse zu verzichten, war schon nicht einfach. Mittlerweile macht es mir aber überhaupt nichts mehr aus. Man gewöhnt sich daran und irgendwann fehlt es einem auch nicht mehr.“ Allerdings sei die Planung der Mahlzeiten  intensiver. Produkte müssen auf ihre Herkunft und Inhaltsstoffe überprüft werden. „Ich muss mir schon einen Tag vorher überlegen, was ich am nächsten Tag esse.“
Dass er das wirklich durchzieht, daran hat seine Freudin Sabrina anfangs nicht geglaubt. „Er hat so gerne Süßigkeiten gegessen.“ Die gibt es zwar auch für Veganer, aber sie sind teuer und schmecken nicht so gut. Sabrina ist selbst Vegetarierin, weiter möchte sie aber nicht gehen, auch wenn sie sich häufig vegan ernährt, da Jonas meistens das gemeinsame Abendessen vorbereitet. „Ich will nicht auf Joghurt verzichten, und die vegane Variante schmeckt einfach nicht.“
Die Auswahl veganer Lebensmittel in den Supermärkten und Bioläden der Region ist nicht riesig, dafür bieten Bioläden in Aachen eine Vielfalt solcher Produkte. Günstig sind die veganen Lebensmittel nicht. „Eine bewusste Ernährung hat eben ihren Preis, das gilt ja nicht nur für vegane Ernährung. Wer Bio-Produkte kauft, muss auch etwas mehr ausgeben“, meint Jonas.
Auch wenn vegane Ernährung für viele zunächst einmal nach Verzicht klingt – Jonas sieht das anders. „Es gibt Ersatzprodukte, die den gleichen Geschmack und die gleiche Konsistenz haben.“ Vieles davon kann man selber Zuhause zubereiten. Zum Beispiel vegane Mozzarella, Mayonnaise, die statt Ei eine gekochte Kartoffel als Bindemittel enthält oder Döner, der statt mit Fleisch mit Seitan, einem veganen Fleischersatz aus Weizeneiweiß, zubereitet wird. Allerdings gehen seinem Körper so auch Vitamine und Nährstoffe verloren, die nur in tierischen Lebensmitteln enthalten sind. Wer auf Fleisch oder gar auf tierische Produkte verzichtet, muss also vorbeugen. „Vor allem Vitamin B12 ist fast ausschließlich in Fleisch, Eiern und Milch enthalten. Wer darauf verzichtet, sollte entweder spezielle Lebensmittel kaufen, die mit Vitamin B12 angereichert sind, oder nahrungsergänzende Vitaminpräparate zu sich nehmen“, erklärt die Ernährungsexpertin Alina Sterz. „Wenn man sich als Veganer ausgewogen ernährt, kann das sehr gesund sein.“ Veganer seien weniger übergewichtig, litten weniger an Bluthochdruck und Diabetes, hätten einen niedrigeren Cholesterinspiegel und müssten sich seltener wegen Herz-Kreislauf-Erkrankungen behandeln lassen.
Jonas ist überzeugt, dass dem Veganismus die Zukunft gehört. Als Missionar geht er allerdings nicht durch die Welt, er ist kein fanatischer Veganer, der andere Menschen „bekehren“ will. „Ich möchte einfach nur, dass die Leute anfangen, sich Gedanken über ihr Essen machen. Danach entscheidet jeder für sich selbst.“ Dass seine Einstellung ihn zu einem besseren Menschen macht, findet er nicht. „Aber ich fühle mich besser“, erzählt der 26-Jährige. Seitdem er sich vegan ernährt, hat er bereits sechs Kilo abgenommen. Als Fleischesser fühlte er sich manchmal antriebslos und schwer. Heute hat sein Tatendrang zugelegt. „Früher hatte ich nach dem Essen immer ein Völlegefühl und habe mich einfach aufs Sofa fallen lassen, um noch etwas Fernsehen zu schauen. Jetzt könnte ich nach dem Essen noch eine Wanderung machen“, meint Jonas, und seine Freundin ergänzt lächelnd: „Mit ihm ist Fernsehen ohnehin nicht so einfach. Sobald Werbung kommt, schaltet er um.“ Der 26-Jährige hat eine Abneigung gegen Werbung entwickelt, weil sie in seinen Augen den Menschen eine falsche Welt vorgaukelt. Das Veganersein ist für Jonas eine Lebenseinstellung geworden, die weit über die Ernährung hinaus geht und die kann man in keinem Bioladen der Welt kaufen.

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