GEneration-Mitarbeiterin Julie Hardt erzählte zuletzt in diesem Blog, wie es ihr gelang, sich aus Facebook (FB) auszuloggen. Ob sie es geschafft hat, abstinent zu bleiben, erfahrt ihr im zweiten Teil ihres Offline-Tagebuchs.
Von Julie Hardt
Foto: David Hagemann
6. Tag: Für eine Story muss ich eine Bekannte anschreiben, mit der ich nun nicht mehr auf FB „befreundet“ bin. Habe jedoch weder ihre Mailadresse noch ihre Handynummer. Die ist schnell ermittelt, die Anfrage verschickt. Die Antwort folgt, aber es hat länger gedauert, es schien nicht der direkteste Weg zu sein. Vorher fand ich manchen Müll auf der Startseite von FB hirnamputiert, jetzt bin ich news- und kontaktamputiert – na toll, ob ich mir da nicht ein Eigentor geschossen habe, noch dazu, da Trends immer häufiger auf FB zu finden sind? Ich überlege, wie lang ich das noch aushalte.
7. Tag: Das „Top-Sites-Fenster“ meines MacBooks verleitet mich beim Öffnen des Browsers mehrmals täglich dazu, reflexartig und geistesabwesend die FB-Seite anzuklicken. Der Mensch ist halt ein Gewohnheitstier. Der blaue Bildschirm starrt mich an. Müsste ja eigentlich nur meine Mail und mein Passwort eingeben. Denkste! Auf keinen Fall. Habe stattdessen angefangen, bei Ebay zu bieten, da kann ich wenigstens mehrmals täglich nachsehen, was sich so tut. Hauptsache irgendwas verfolgen…
10. Tag: Verschwitze generell Geburtstage, FB erinnerte mich bisher immer daran. Jetzt müssen mir Freunde die Daten bestätigen. Muss das Gehirn wieder einstellen. Mir fehlt ebenfalls das virtuelle Geschnattere meiner Freundinnen im „Hühnerstall“, unserer FB-Privatgruppe. Ich versende übermäßig viele SMS.
12. Tag: Ebay wird langweilig. Da ich meine Traumschuhe nicht ersteigert habe, gebe ich es wieder auf. Zuhause haben wir mehr Zeit, man fühlt sich nicht einsam aber abgekapselt. Ein Geburtstag steht an. Ich erfahre per SMS davon. Veranstaltungseinladungen sind fast ausschließlich auf FB zu sehen, früher bekam man liebevoll gestaltete Flyer. Auf dem Geburtstag erfahre ich, dass sich nun jedes Mal irgendjemand aus unseren zahlreichen FB-Gruppen erbarmen muss, mir, der Abtrünnigen, Bescheid zu geben, was so ansteht. Bin ein lästiges Anhängsel, das zusätzlich Zeit und Geld kostet. Ich koste meine Freunde mehr SMS. Beim Geburtstagsgeschenk konnte ich auch nicht mitreden. Ich bin vom Paralleluniversum ausgeschlossen, kann nicht mehr teilhaben. Fühlt sich an, als hätten meine Freunde mit mir Schluss gemacht.
15. Tag: Computerladekabel kaputt. Na toll, kein Internet. Back to the roots. Irgendwie freuen sich Freund, Haushalt und Fernseher darüber. Im Fernsehen nervt allerdings noch mehr Schrott als auf FB. Habe endlich Zeit, Papiere zu ordnen, die seit dem Sommer liegen geblieben sind.
19. Tag: Selbstbestätigung muss man sich woanders besorgen. Es ist leichter, ein „Like“ auf FB zu geben als Komplimente ins Gesicht zu sagen. FB-User können anhand von Fotos, Kommentaren und Ortsangaben demonstrieren, wie toll ihr Leben und sie selber sind. Sicherlich ein Vorteil in unserer defizitorientierten Gesellschaft, wo eher genörgelt statt gelobt wird: Je mehr „Gefällt mir“, desto mehr Selbstvertrauen. Der Status als Statussymbol.
20. Tag: Langsam gefällt mir beim Arbeiten zu Hause, dass ich nicht abgelenkt werde. Ich komme schneller voran. Menschen, die an der Arbeit täglich am PC sitzen und nebenbei „facebooken“, müssen es fatal schwer haben, sich zu konzentrieren. Der ständige Input stopft die Köpfe voll. Wer günstig Urlaub machen will, stellt für zwei Wochen das Internet ab. Keine Sorge, die Entzugserscheinungen legen sich nach einigen Tagen wieder.
26. Tag: Zwei von 35 befragten Schülern haben im letzten Jahr ein Buch gelesen. 34 von 35 hängen täglich mehr als zwei Stunden vor FB. Früher tummelte sich die Jugend im Klinkes auf grüner Wiese, heute tummelt sie sich auf blauer Wiese. Wenn wir früher Hausarrest hatten, war das eine Strafe. Heute kann man seine Freunde trotzdem treffen – im Netz. Internetverbot ist der moderne Hausarrest!
37. Tag: Die FB freie Zeit ermöglicht die Rückkehr zum Monotasking. Statt tausend Dinge auf einmal zu machen und dabei noch zu telefonieren und auf FB Antworten zu tippen, bleibe ich länger konzentriert bei einem Thema. Eine Freundin meinte passenderweise, ich sähe so richtig entspannt aus. Ein Kollege ist erstaunt: „Echt, du nicht mehr auf FB, hab ich noch gar nicht bemerkt!“ Ich erwidere zufrieden: „Dann weiß ich wenigstens, dass ich keine von denen war, die alle ständig mit den noch so kleinsten Fakten aus ihrem Leben zugespamt hat!“
45. Tag: Meine nach München ausgewanderte Freundin möchte, dass ich wieder auf FB zurückkehre, damit ich mich an den Planungen für Silvester beteilige.
50. Tag: Silvester-Endplanung bei Wein mit Freunden auf dem Sofa: face to face und ohne FB. Klappt doch!
Fazit: Facebook ist zweifellos ein Fenster zur Außenwelt. Einige Vorteile sind wirklich nicht zu leugnen. Man fühlt sich up to date, die „Facebooker“ sind klar im Vorteil! Doch auch wenn das Netzwerk aus der Gesellschaft nicht mehr wegzudenken ist, scheint mir Facebook an sich nicht so wichtig zu sein. Einladungen und Freunde aber schon. Die findet man aber leider häufig nur dort. Dieser Gruppenzwang hatte mich vor drei Jahren da hinein befördert. Wem etwas an meiner Freundschaft liegt – das wird jetzt offensichtlich -, der meldet sich über andere Kanäle. Freunde „in echt“ zu treffen, erhält wieder mehr Wert. Die Symptome des Entzugs waren denen einer realen Trennung ähnlich. Wenn man sich allerdings erst einmal daran gewöhnt hat, denkt man nach einiger Zeit weniger daran, was man auf Facebook alles verpasst, sondern vielmehr in der realen Welt. Zum Schutz der Nerven tut man gut daran, zu lernen, Dinge zu verpassen, ohne es zu bedauern. Der anfängliche Drang, zu Facebook zurückzukehren, schwindet. Nur um die Erinnerungen auf den vielen lustigen, verlinkten Fotos tut es mir irgendwie leid.